Olivia Kaiser
Könnte ich mir eine Ausstellung wünschen, es wäre eine Doppelausstellung der Malerinnen Olivia Kaiser und Maria Helena Vieira da Silva. Es wäre die perfekte Gelegenheit, die maximale Gegensätzlichkeit möglicher Blickwinkel auf die Welt zu demonstrieren. Bei Vieira da Silvas Bildern ergibt sich der Eindruck, man überflöge ganze Städte und schaute aus einer ungewöhnlichen, aber klar definierten Distanz auf diese hinunter. Bei Olivia Kaisers Bildern ist das Standortgefühl ein viel abstrakteres. Lässt man sich auf ihre Bilder ein, fühlt es sich an, als wäre man geschrumpft und bewegte sich im Mikrochip ihrer Malerei. Dort finden sich sicht- und unsichtbare Kanäle bzw. Leitwege, die Energieströme von einer zur anderen Zone ermöglichen und an gewissen Punkten für Entzündungen sorgen. Diese Kräfte lösen etwas Vergleichbares wie Stromschläge aus, wenn sie sich in komplexen, baukastenartigen Gebilden bündeln. Diese Stromschläge bringen Farbinseln auf eine Lichthöhe, die für kurze Momente das Auge flasht. Die Energie fließt dann untergründig weiter und lässt die farbigen Flächen aus dem Unten heraus leuchten, sodass sie wie Restlichter wirken.
Olivias Kaisers Bilder sind stark hermetisch – sie sind autarke räumliche Systeme, die eben nicht an Städte oder andere bekannte Strukturen erinnern. Sie sind nicht von der Repräsentation abstrahiert, sondern von der Abstraktion abgeleitet. Das macht die Bilder souverän und erschwert es, verbale Gegenbilder zu entwerfen. Olivia Kaisers Bilder sind das Ergebnis von Addition und Subtraktion von Zugaben, die Stereotypen brechen und uns das Gefühl schenken, dass diese Bilder entstanden sein könnten, ohne auf bestehenden Bildern aufzubauen – als ob es die ersten Bilder wären…
(Text: Michael Horsky)